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Kenntnis der Abtretung bei § 767 ZPO

Kenntnis von einer Abtretung als Einwand im Rahmen des § 767 ZPO

 

Mit Urteil vom 19. Oktober 2000 (IX ZR 255/99; NJW 2001, 231) hat der BGH entschieden, daß allein die nachträgliche Kenntnis des Schuldners davon, daß der Gläubiger den titulierten Anspruch vor dem Schluß der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an einen Dritten abgetreten hat, grundsätzlich keinen Einwand begründet, auf den eine Vollstreckungsabwehrklage gegen den aus dem Titel vorgehenden Zedenten gestützt werden kann.

 

Verlangt der Titelgläubiger Zahlung, obwohl er den geltend gemachten Anspruch während des Rechtsstreits abgetreten hat, und erhält der Schuldner, der davon erfährt, auf Anforderung keine inhaltlich übereinstimmenden Erklärungen des alten und des neuen Gläubigers, an wen er leisten soll, kann er mit schuldbefreiender Wirkung hinterlegen.

 

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der Kläger war durch Urteil des OLG München vom 8. Juli 1997 wegen eines vom EC e.V. abgetretenen Schadensersatzanspruchs rechtskräftig verurteilt worden, an die jetzigen Beklagten als Zessionare 308.687,- DM zuzüglich Zinsen zu zahlen. Er erfuhr erst nach Rechtskraft  dieser Entscheidung, daß die Beklagten ihre Ansprüche bereits im März 1996 an ihren Prozeßbevollmächtigten zediert hatten. Er wandte sich nunmehr gegen die Vollstreckung aus dem Urteil des OLG München sowie aus zwei auf der Grundlage dieses Urteils ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlüssen. Weiter verlangte er Herausgabe einer Bürgschaft, die er zur Abwehr der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vor Rechtskraft gestellt hatte.

 

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab ihr nur, soweit sie sich gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse richtete, zur Hälfte statt. Mit der Revision verfolgte der Kläger ohne Erfolg den nicht zuerkannten Teil seiner Anträge weiter.

 

Zur Begründung hat der BGH ausgeführt (Hervorhebungen hat der Verf. eingefügt):

 

“I.

Die revisionsrechtliche Prüfung hat davon auszugehen, daß die Beklagten nicht mehr berechtigt sind, den titulierten Schadensersatzanspruch geltend zu machen. (...)

 

II.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Kläger sei mit dem Einwand, den Beklagten fehle infolge der Abtretung die Aktivlegitimation, gemäß § 767 II ZPO präkludiert, weil dieser Einwand schon im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter begründet gewesen sei und es nur auf dessen objektiven Bestand, nicht dagegen dessen Kenntnis ankomme. Eventuelle Unbilligkeiten seien durch § 826 BGB auszugleichen, dessen Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt seien.

 

Diese Auffassung verdient trotz der besonderen Umstände des Streitfalles im Ergebnis Zustimmung.

 

1. Die Vollstreckungsabwehrklage kann gemäß § 767 Abs. 2 ZPO nur auf solche Gründe gestützt werden, die erst nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung entstanden sind, in der sie im Vorprozeß spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, um in den Tatsacheninstanzen berücksichtigt werden zu können (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.1998 - IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214 [215, 220 ff] = MDR 1998, 1240). Der Entstehungszeitpunkt des Einwands ist allein nach objektivem Recht zu bestimmen; es kommt daher nicht darauf an, ab wann die Partei die entsprechenden Tatsachen kannte oder hätte erkennen können (BGH BGHZ 34, 274 [279] = MDR 1961, 496; BGHZ 61, 25, [27] = MDR 1973, 745; v. 19.3.1987 - IX ZR 148/86, BGHZ 100, 222 [225] = MDR 1987, 578; v. 16.10.1995 - II ZR 298/94, BGHZ 131, 82 [88] = MDR 1996, 247). Danach stellt der Gläubigerwechsel keine neue Tatsache im Sinne des § 767 II ZPO dar; denn die Beklagten haben ihre materielle Rechtszuständigkeit aufgrund der Abtretung schon vor dem Schluß der mündlichen Verhandlung im Berufungsrechtszug des Vorprozesses verloren.

 

2. Hat der Gläubiger die ihm zustehende Forderung schon vor dem Schluß der mündlichen Verhandlungen im Vorprozeß abgetreten, der Schuldner davon jedoch erst später erfahren, so soll nach einer im Schrifttum im Anschluß an RGZ 84, 286 (292) nahezu einhellig vertretenen Auffassung die nachträgliche Kenntnis des Schuldners von der Zession eine im Sinne des § 767 II ZPO beachtliche Tatsache darstellen, weil der Schuldner dadurch den ihm von § 407 I BGB gewährten Schutz, schuldbefreiend an den alten Gläubiger leisten zu können, verloren habe (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 767 Rz. 23; K. Schmidt in MünchKomm/ZPO, § 767 Rz. 77; Musielak/Lackmann, ZPO, 2. Aufl., § 767 Rz. 39; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl., § 40 V 1 a a.E.; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl., § 767 Rz. 30; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 767 Rz. 22; Wieczorek/Schütze/Salzmann, ZPO, 3. Aufl., § 767 Rz. 54; Herget in Zöller, ZPO, 21. Aufl., § 767 Rz. 14; ebenso OLG Koblenz, Beschl. v. 13.7.1988 - 5 W 64/88, JurBüro 1989, 704; aA Karst OLG Dresden v. 14.7.1994 - 5 U 117/94, MDR 1995, 559 = OLGR Dresden 1995, 185 = NJW-RR 1996, 444).

 

Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Sie ist mit Wortlaut und Inhalt des § 767 ZPO nicht zu vereinbaren. Die von ihr vorgenommene Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vollstreckungsabwehrklage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes gerechtfertigt.

 

a) § 407 BGB begründet für den Schuldner nur einen Einwand gegenüber dem neuen Gläubiger, also dem Zessionar. Auf die Rechtsbeziehung zum Abtretenden (Zedenten), der aus dem Titel vollstreckt, hat die Vorschrift keinen Einfluß. Nach § 767 I ZPO sind nur solche Einwendungen bedeutsam, die den titulierten Anspruch selbst betreffen. Hat der Zedent ein rechtskräftiges Urteil zu seinen Gunsten erwirkt, läßt sich aus der nachträglichen Kenntnis von der Abtretung ihm gegenüber schon deshalb kein gemäß § 767 II ZPO zulässiger Einwand herleiten, weil der Schuldner damit nach Schluß der mündlichen Verhandlung lediglich eine Verteidigungsmöglichkeit gegenüber dem Zessionar verloren hat, in dem Rechtsverhältnis zum Zedenten dagegen keine Änderungen eingetreten sind.

 

b) Eine analoge Anwendung von § 767 II ZPO käme allerdings in Betracht, wenn die wortlaut- und inhaltsgetreue Auslegung der Vorschrift zu einer mit Sinn und Zweck der §§ 404 ff BGB nicht vereinbaren Rechtsschutzlücke beim Schuldner führen würde. Das ist indessen nicht der Fall.

 

aa) Zwar wird der Kläger infolge der Kenntnis von der Abtretung durch eine Leistung an die Beklagten nunmehr dem Zessionar gegenüber nicht von seiner Verbindlichkeit frei. Die Rechtskraftwirkung nach § 325 I ZPO beschränkt sich auf den ausgeurteilten Anspruch. § 325 I ZPO verdrängt die Vorschrift des § 407 I BGB nicht; der Schuldner kann sich dem neuen Gläubiger also nicht mit Erfolg auf eine an den Zedenten als Titelgläubiger nach Kenntnis von der Abtretung erbrachte Leistung berufen (BGH v. 26.1.1983 - VIII ZR 258/81, BGHZ 86, 337 [340] = MDR 1983, 486). § 407 II BGB erstreckt lediglich die Rechtskraftwirkung des § 325 ZPO auf die Fälle, in denen die Abtretung schon vor Rechtshängigkeit erfolgt ist (vgl. BGH BGHZ 35, 165 [168] = MDR 1961, 766; BGH v. 26.1.1983 - VIII ZR 258/81, BGHZ 86, 337 [339] = MDR 1993, 486). Um einen solchen Fall geht es hier nicht.

 

bb) Der Kläger kann jedoch seine berechtigten Belange auf einem einfacheren Wege wahren als mittels einer Klage aus § 767 ZPO, die sich auf die dem Titelgläubiger fehlende Aktivlegitimation stützt.

 

Verlangt in einem Fall, wie er hier gegeben ist, der Titelgläubiger Zahlung, obwohl er den geltend gemachten Anspruch abgetreten hat, verdient der Schuldner lediglich Schutz vor der Gefahr, daß seine Zahlung keine Erfüllung der Verbindlichkeit bewirkt und er ein zweites Mal leisten muß. Weist der Titelgläubiger nicht nach, daß ihm eine Einziehungsermächtigung erteilt wurde, und erhält der Schuldner auf entsprechende Anforderung auch keine inhaltlich übereinstimmenden Erklärungen des alten und des neuen Gläubigers, an wen er leisten soll, besitzt er nicht die notwendige Gewißheit über die Person des Gläubigers. Diese Unsicherheit hat er nicht zu vertreten; denn gerade bei Abtretungsvorgängen, die außerhalb seines Einflußbereichs liegen, können von ihm grundsätzlich keine weiteren Anstrengungen zur Ermittlung des Sachverhalts verlangt werden (vgl. BGH, Urt. v. 28.1.1997 - XI ZR 211/95, MDR 1997, 564 = WM 1997, 515 [517]). Der Schuldner hat dann die Möglichkeit, seine Verbindlichkeit im Wege der Hinterlegung (§§ 372 2, 378 BGB) zu erfüllen. Daß er auch nach § 409 BGB von seiner Schuld hätte frei werden können (vgl. unten zu cc), schließt die Befugnis zur Hinterlegung nicht aus; denn § 409 BGB begründet lediglich ein Recht und keine Pflicht zur Leistung an die von dem Zedenten bezeichnete Person (BGH, Urt. v. 28.1.1997 - XI ZR 211/95, MDR 1997, 564 = WM 1997, 515 [517]). Solange der Schuldner bereits auf diese Weise verhindern kann, daß der Titelgläubiger gegen ihn vorgeht, gibt es keinen anzuerkennenden Grund, ihm die Vollstreckungsabwehrklage zu eröffnen. Erst dann, wenn die Vollstreckung trotzdem fortgesetzt wird, steht dem Schuldner die Klage aus § 767 ZPO zur Verfügung, die dann auf die erfolgte Hinterlegung als nachträgliche Tatsache gestützt werden kann (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 21. Aufl., § 767 Rz. 12; allgemeine Meinung). Der Kläger hat nicht behauptet, daß er auf dem beschriebenen Weg seine berechtigten Interessen gegenüber den Beklagten und dem neuen Gläubiger nicht hat wahren können.

 

cc) Der Schuldner, dem der Titelgläubiger mitgeteilt hat, der Anspruch sei abgetreten, wird zudem durch eine Leistung an den ihm benannten neuen Gläubiger zugleich vor einer Inanspruchnahme durch den Zedenten geschützt; denn dieser muß eine solche Leistung gegen sich gelten lassen (§ 409 I BGB). Mit diesem Einwand kann anschließend einer eventuellen Fortsetzung der Vollstreckung ebenfalls wirksam nach § 767 ZPO begegnet werden. Auch auf diesem Weg werden die berechtigten Belange des Schuldners gewahrt; denn durch Zahlung an den ihm bezeichneten neuen Gläubiger wird er von der Verbindlichkeit befreit und erwirbt gleichzeitig einen dem Zedenten gegenüber durchgreifenden Einwand. Unterläßt es der Schuldner dagegen aus von ihm zu vertretenden Gründen, die Möglichkeiten zu nutzen, mit denen er die Gefahr einer doppelten Zahlung ausschließen kann, ist er im Verhältnis zum vollstreckenden Gläubiger nicht schutzwürdig. In diesem Falle wird er daher durch die strikte Anwendung des § 767 II ZPO nicht unangemessen benachteiligt.

 

c) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bindet die Vorschrift des § 407 I BGB den Schuldner nicht in dem Sinne, daß er dem Zedenten die Leistung, die er ihm in Unkenntnis der Abtretung erbracht hat, belassen muß und sich dem Zessionar gegenüber nur auf die Erfüllung an den Altgläubiger berufen kann. Vielmehr hat der Schuldner auch die Möglichkeit, statt dessen vom Zedenten die Leistung aus ungerechtfertigter Bereicherung zurückzufordern (BGH BGHZ 52, 150 [153 f] = MDR 1969, 743; v. 19.10.1987 - II ZR 9/87, BGHZ 102, 68 [71 f] = MDR 1988, 293; v. 27.1.1995 - II ZR 206/53, LM BGB § 407 Nr.3; aA OLG Dresden v. 14.7.1994 - 5 U 117/94, MDR 1995, 559 = OLGR Dresden 1995, 185 = NJW-RR 1996, 444). Zu dieser Rechtsprechung steht die hier aufgezeigte Lösung nicht in Widerspruch; denn sie eröffnet dem Schuldner gerade die Möglichkeit, ohne Leistung an den Zedenten als Titelgläubiger seine schutzwürdigen Belange zu wahren.

 

d) Der hier aufgezeigte Weg führt ebenfalls zu einem interessegerechten Ergebnis, wenn der Schuldner erst nach dem gemäß § 767 II ZPO maßgeblichen Zeitpunkt eine Forderung gegen den Zedenten erworben hat. In diesem Falle ist er berechtigt, auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufzurechnen, wenn ihm die Forderung gehörte, bevor er von dem Gläubigerwechsel erfuhr, und sie zu diesem Zeitpunkt bereits fällig war (§ 406 BGB). Mit einer solchen Aufrechnung kann eine weitere Zwangsvollstreckung durch den Altgläubiger erfolgreich bekämpft werden; denn insoweit sind alle Voraussetzungen des § 767 II ZPO erfüllt.

 

e) Die Literatur beruft sich für die von ihr vertretene Auffassung zu Unrecht auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.4.1980 (BGH, Urt. v. 21.4.1980 - II ZR 107/79, MDR 1980, 826 = NJW 1980, 2527 [2528]). Im dort entschiedenen Fall scheiterte der Einwand aus § 767 ZPO bereits deshalb, weil der Zessionar dem Altgläubiger im Vorprozeß eine Einziehungsermächtigung erteilt hatte. Die hier erörterte Frage wurde daher nicht entscheidungserheblich; das Urteil ist auf sie auch nicht eingegangen.

 

III.

(...)

 

IV.

Ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB kommt, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, nicht in Betracht. Allein daraus, daß die Beklagten dem Kläger im Prozeß die Abtretung nicht mitgeteilt haben und die Vollstreckung aus dem Urteil trotz der Zession betreiben, läßt sich ein Schädigungsvorsatz nicht herleiten.

 

V.

Der Kläger kann schließlich auch nicht Rückgabe der Bürgschaftsurkunde verlangen.

 

Die Bürgschaft ist zur Sicherung der titulierten Ansprüche erteilt worden. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ist weiterhin zulässig. Solange der titulierte Anspruch nicht erfüllt oder die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt ist, steht dem Kläger kein Anspruch auf Rückgabe der Bürgschaft zu. Ob der von ihm gestellte Antrag schon aus prozeßrechtlichen Gründen scheitert, weil der nach § 109 ZPO vorgesehene Weg vorrangig ist (vgl. Senat, Urt. v. 24.2.1994 - IX ZR 120/93, MDR 1994, 1037 = ZIP 1994, 654), kann dahingestellt bleiben.”

 

 

 

Mit diesem Urteil hat der BGH sich gegen die bislang ganz vorherrschende Ansicht entschieden, der zufolge von dem Grundsatz, es komme allein auf den Entstehungszeitpunkt der Einwendung an, der nicht nach der Kenntnis des Schuldners von den zugrundeliegenden Umständen, sondern nach objektivem Recht zu bestimmen sei, in Fällen der nachträglich erlangten Kenntnis von einer Abtretung der titulierten Forderung mit Rücksicht auf § 407 Abs. 1 BGB eine Ausnahme zu machen und dann diese nachträgliche Kenntnis maßgeblich sei. Den Schuldner verweist der BGH auf die Möglichkeit der Hinterlegung.

 

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