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Pfändung in die offene Kreditlinie

Mit Urteil vom 29. März 2001 (IX ZR 34/00; NJW 2001, 1937) hat der BGH entschieden, daß die Ansprüche des Bankkunden gegen das Kreditinstitut aus einem vereinbarten Dispositionskredit ("offene Kreditlinie"), soweit der Kunde den Kredit in Anspruch nimmt, grundsätzlich pfändbar sind.

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das klagende Land erließ am 2.4.1998 durch das zuständige Finanzamt wegen einer Steuerforderung gegen den Vollstreckungsschuldner i.H.v. damals rd. 59.000 DM eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, durch die alle Ansprüche des Steuerschuldners gegen die verklagte Sparkasse, bei der dieser u.a. ein Girokonto unterhielt, unter Anordnung der Einziehung gepfändet wurden. Die Verfügung bezog sich u.a. auf "alle dem Vollstreckungsschuldner gegenwärtig und künftig gegen ... (die Beklagte) zustehenden Ansprüche ... auf ... Auszahlung, Gutschrift oder Überweisung an sich und an Dritte von Kreditmitteln aus bereits abgeschlossenen und künftigen Kreditverträgen (z.B. Kredit oder Überziehungskredit ohne besondere Zweckbindung oder Kredit für betriebliche Zwecke, falls Betriebssteuern geschuldet werden)". Das genannte Konto wies damals einen Soll-Saldo von 32.563,10 DM aus, der bis zum 12.6.1998 auf 22.956,51 DM zurückgeführt wurde. In diesem Zeitraum wurden auf Grund von Verfügungen des Vollstreckungsschuldners insgesamt 146.969,82 DM von dem Konto abgebucht. Die Beklagte überwies insgesamt 18.000 DM an das Finanzamt; i.ü. wies das Konto kein Guthaben aus.

Der Kläger verlangte in dem Rechtsstreit von der Beklagten Begleichung der jetzt noch bestehenden Steuerschuld von 37.601,25 DM mit der Begründung, in dieser Höhe hätte die Beklagte wegen der Pfändung keine Verfügungen über das Konto zulassen dürfen.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Der BGH hat jedoch das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt (Hervorhebungen hat der Verf. hinzugefügt):

“I.

Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Klägers als richtig unterstellt, die Beklagte habe sich, nachdem sie die Pfändungs- und Einziehungsverfügung erhalten habe, mit dem Vollstreckungsschuldner darauf verständigt, dass dieser trotz des negativen Kontostands Barabhebungen und Überweisungen vornehmen und das Konto mit Lastschriften, "Kartenzahlungen" und sonstigen Verfügungen belasten dürfe. In diesem Sachverhalt hat das Berufungsgericht zu Recht die vertragliche Einräumung eines Dispositionskredits gesehen, die die Beklagte verpflichtete, die Geldmittel für die Kontoverfügungen des Vollstreckungsschuldners bereitzustellen. Das Berufungsgericht hat jedoch gemeint, die sich daraus ergebenden Ansprüche des Vollstreckungsschuldners gegen die Beklagte seien von der Pfändung nicht erfasst worden. Diese rechtliche Beurteilung trifft nicht zu.

1. Die Zusage der Beklagten, Verfügungen über das Konto auch dann zuzulassen, wenn sie nicht durch ein Guthaben abgedeckt waren, gab dem Vollstreckungsschuldner, soweit er sich entschloss, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, und solange der Kreditvertrag bestand, einen Anspruch darauf, den jeweils durch Barabhebung, Ausstellung einer Überweisung oder in sonstiger Weise angeforderten - "abgerufenen" - Geldbetrag darlehensweise zur Verfügung gestellt zu bekommen. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme dieser Kreditmöglichkeit, mit der gleichzeitig die entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Vollstreckungsschuldners begründet wurde, bestand für diesen freilich nicht. Es spricht deshalb viel für die Annahme, dass bei einem derartigen Dispositionskredit bis zum jeweiligen Abruf noch kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank besteht, der einem Abtretungsempfänger oder einem Pfandgläubiger das Recht geben könnte, sich ohne Mitwirkung des Kontoinhabers die für diesen bereitgestellten Kreditmittel auszahlen zu lassen. Aus diesem Grund wird im Schrifttum überwiegend angenommen, das Recht zum Abruf eines Dispositionskredits sei weder selbstständig pfändbar noch werde es von einer Pfändung des Auszahlungsanspruchs erfasst (vgl. Wagner, WM 1998, 1659f. m. umfangr. Nachw.; a.A. Grunsky, JZ 1985, 491; vgl. auch Grunsky, ZZP 95 [1982], 264 [271 ff.]). Darauf ist hier nicht weiter einzugehen. Eine Pflicht des Kreditinstituts zur Auszahlung besteht jedenfalls, sobald und soweit der Kontoinhaber durch eine entsprechende Verfügung (Verlangen nach Barauszahlung, Ausstellung eines Überweisungsauftrags und dergl.) in Höhe eines bestimmten Geldbetrages die Kreditzusage in Anspruch nimmt. Ein sich daraus ergebender Auszahlungsanspruch des Kreditnehmers lässt sich nicht deswegen verneinen, weil seine Entstehung mit der Inanspruchnahme des Kredits - etwa durch Verlangen nach Auszahlung oder durch Überweisung - zusammenfiele (unzutreffend OLG Schleswig NJW 1992, 579 [580]). Dies ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht der Fall; denn der Auszahlungshandlung der Bank geht der Abruf durch den Kunden immer voraus (vgl. Gaul, KTS 1989, 3 [16f.]).

2. Der Kläger hat die durch die Kontoverfügungen des Vollstreckungsschuldners entstandenen Kreditauszahlungsansprüche wirksam gepfändet.

a) Bei Erlass der Pfändungs- und Überweisungsverfügung v. 2.4.1998 bestanden diese Ansprüche zwar noch nicht. Pfändbar sind jedoch auch zukünftige Forderungen, wenn schon eine Rechtsbeziehung zwischen Schuldner und Drittschuldner besteht, aus der die spätere Forderung nach ihrem Inhalt und der Person des Drittschuldners bestimmt werden kann (BGHZ 53, 29 [32]). Das war hier entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auf Grund des Krediteröffnungsvertrags der Fall. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung v. 2.4.1998 führte als gepfändet u.a. ausdrücklich Ansprüche "aus bereits abgeschlossenen und künftigen Kreditverträgen" auf, wobei erläuternd insbesondere Überziehungskredite erwähnt waren. Damit erstreckte sich die Pfändung auf im Zusammenhang mit dem Girovertrag eingeräumte, erst später entstehende oder fällig werdende Kreditauszahlungsansprüche.

b) Der Anspruch auf Auszahlung eines zugesagten Darlehens ist grundsätzlich abtretbar und damit auch pfändbar (BGH, Urt. v. 26.4.1978 - VIII ZR 18/77, JR 1978, 419 [420]). Eine Pfändung des Anspruchs erfasst den Darlehensbetrag als solchen und nicht nur die zeitweilige Nutzung des Kapitals (so Häuser, ZIP 1983, 891 [899f.]; Olzen, ZZP 97 [1984], 1 [7 ff.]; anders aber wohl Olzen, EWiR 1994, 517 [518]). Es trifft zwar zu, dass die Gewährung eines Darlehens, da es zurückgezahlt werden muss, wirtschaftlich nur eine Kapitalnutzung bedeutet. Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind aber nicht wirtschaftliche Vorteile, sondern die dem Schuldner gehörenden Vermögensgegenstände. Der durch den Darlehensvertrag begründete Anspruch richtet sich auf die Verschaffung einer bestimmten Geldsumme (Gaul, KTS 1989, 3 [11]; Lwowski in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 1997, § 33 Rz. 43). Deren Auszahlung belastet den Darlehensnehmer zwar mit der Rückzahlungsverpflichtung. Das schmälert aber die dem Zugriff in der Zwangsvollstreckung unterliegende Auszahlungsforderung als solche nicht; denn den erst später fällig werdenden Rückzahlungsanspruch kann der Darlehensgeber der gegen ihn gerichteten Forderung auf Auszahlung nicht in Form eines Zurückbehaltungsrechts entgegenhalten.

c) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, ein Dispositionskredit sei zweckgebunden und aus diesem Grund nicht pfändbar. Das Kreditinstitut stelle dem Kunden den Kredit nicht schlechthin, sondern nur unter der Voraussetzung zur Verfügung, dass er seine wirtschaftliche Position durch Nutzung des Kapitals stärke und damit zugleich die Chancen der Bank erhöhe, das Geld zurückzuerhalten (Erman, Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt, 1966, S. 261, 267f.); zwischen der Bank und dem Kunden bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis und der Dispositionskredit stehe ausschließlich zur Verfügung des Schuldners (Lwowski/Weber, ZIP 1980, 609 [611]; Nassall, NJW 1986, 168f.; im Ergebnis auch Ensthaler/Herget, Gemeinschaftskommentar zum HGB, 5.Aufl., § 357 Rz. 11; Rosenberg/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl., § 54 I 1 a bb). Es wird auch die Ansicht vertreten, der Zugriff auf ein Unternehmenskonto sei auf betriebliche Gläubiger beschränkt (Bauer, DStR 1982, 280 [281f.]; Carl, DStR 1988, 765 [769]).

Nach § 851 Abs.1 ZPO ist eine Forderung nicht pfändbar, soweit sie nicht abtretbar ist. Bei einer vereinbarten Zweckbindung, mit der die Zahlung an den ursprünglichen Gläubiger zum Leistungszweck gemacht wird (§ 399 Alt. 1 BGB), ist die Forderung trotz des weitergehenden Wortlauts des § 851 Abs.2 ZPO jedenfalls dann unpfändbar, wenn die Bindung treuhänderischen Charakter hat (BGH v. 15.5.1985 - IVb ZR 33/84, BGHZ 94, 316 [322] = MDR 1985, 831; Urt. v. 30.3.1978 - VII ZR 331/75, LM ZPO § 851 Nr.3; v. 16.12.1999 - IX ZR 270/98, WM 2000, 264 [265] = MDR 2000, 477). Von einer treuhänderischen Bindung kann bei einem bankgeschäftlichen Dispositionskredit nicht ohne weiteres die Rede sein. Darüber hinaus fehlt es bei ihm überhaupt an einer vereinbarten Zweckbindung, wenn die Bank dem Kontoinhaber das Kapital zur freien Verfügung überlässt.

d) Der Kontoinhaber, der von einer vereinbarten Kreditlinie Gebrauch macht, indem er zu Lasten seines debitorischen Kontos Geld abhebt oder an andere überweist, tut dies nicht, um dadurch einem (anderen) Gläubiger die Möglichkeit des Zugriffs auf dieses Geld zu verschaffen. Deshalb wird gegen die Annahme der Pfändbarkeit solcher Geldmittel eingewandt, dem Vollstreckungsschuldner werde auf diese Weise ein letztlich - wegen der Verwendung des Geldes für einen von ihm nicht bestimmten Zweck - nicht gewollter Kredit aufgedrängt. Das sei von der Privatautonomie nicht gedeckt; die Höchstpersönlichkeit des Rechts zum "Abruf" des Kredits müsse daher auch die Bestimmung des Zwecks der Kreditaufnahme einbeziehen (Lwowski/Bitter, WM-Festgabe für Thorwald Heller, Sonderheft v. 9.5.1994, S. 57, 70; Lwowski/Bitter, WuB VI E. § 829 ZPO 2.96 S. 1331; LG Münster WM 1996, 1847; Lwowski in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 1997, § 33 Rz. 54).

Dieser Einwand gegen die Pfändbarkeit ist nicht tragfähig. Eine einseitige Zweckbestimmung, die der Drittschuldner einer trotz vorangegangener Pfändung an den Vollstreckungsschuldner geleisteten Zahlung gibt, schließt die sich aus den §§ 135, 136 BGB ergebenden Folgen nicht aus (BGH, Urt. v. 20.11.1997 - IX ZR 152/96, WM 1998, 40 [43] = MDR 1998, 237). Für eine Zweckbestimmung des Vollstreckungsschuldners kann nichts anderes gelten; die Privatautomie gebietet bei der Inanspruchnahme einer Kreditzusage keinen solchen Schutz des Vollstreckungsschuldners. Dieser könnte anderenfalls bestimmen, dass der durch den "Abruf" seinem Vermögen einverleibte Auszahlungsanspruch gegen das Kreditinstitut trotz des Vollstreckungszugriffs eines Gläubigers nicht diesem zufließen, sondern zu Gunsten eines anderen Gläubigers verwendet oder das Geld stattdessen an ihn, den Schuldner selbst, ausgezahlt werden solle. Damit wäre ihm gestattet, einen Teil seines Vermögens der Vollstreckung zu entziehen. Bei Auszahlung an einen anderen wäre das Geld für den vollstreckenden Gläubiger verloren; bei Auszahlung an den Schuldner wäre die Vollstreckung zumindest wesentlich erschwert (so zu Recht Olzen, EWiR 1994, 518). Auch wenn der Schuldner nicht verpflichtet ist, zur Begleichung seiner Schuld einen Kredit aufzunehmen, bedeutet das nicht, dass er unter Ausschaltung des Vollstreckungsgläubigers einen tatsächlich aufgenommenen Kredit anderweitig verwenden dürfte. Das wäre mit Sinn und Zweck der Zwangsvollstreckung, der grundsätzlich das gesamte Vermögen des Schuldners unterliegt, nicht vereinbar.

e) Der sich aus der Kreditzusage ergebende Auszahlungsanspruch des Kontoinhabers wird durch das bankrechtliche Pfandrecht, das auch an Ansprüchen des Kunden gegen das Kreditinstitut bestehen kann (Nr. 21 Abs.1 AGB-Sparkassen; Nr. 21 Abs.1 AGB-Banken), nicht berührt. Der Kredit soll die Liquidität des Kreditnehmers erhöhen. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn die zur Verfügung gestellten Mittel sofort wieder zur Abdeckung anderweitiger Ansprüche der Bank gegen den Kunden abgeschöpft würden (Gaul, KTS 1989, 3 [26] m.w.N.; Wagner, WM 1998, 1657 [1666]).

f) Das Berufungsgericht hat die Klage letztlich wegen der nach seiner Meinung nicht hinnehmbaren Auswirkungen abgewiesen, die die Pfändung eines Dispositionskredits haben könne: die Bank, die trotz der Pfändung den jeweiligen Betrag an ihren Kunden auszahle oder anderweitig überweise, müsste ihn an den Vollstreckungsgläubiger ein zweites Mal zahlen und der Vollstreckungsschuldner hätte ihr dementsprechend den Betrag zweifach zu erstatten; ferner hätte die Pfändung eine Blockade des Kontos zur Folge, die mit Sinn und Zweck einer Zwangsvollstreckung kaum mehr vereinbar sei. Diese Ausführungen greifen Äußerungen im Schrifttum und in der Instanzrechtsprechung auf, die mit gleichen (Lwowski/Bitter, WM-Festgabe für Thorwald Heller, Sonderheft v. 9.5.1994, S. 70 f; Lwowski in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 1997, § 33 Rz. 54f.; Nassall, NJW 1986, 168 [169]; Ensthaler/Herget, Gemeinschaftskommentar zum HGB, 5.Aufl., § 357 Rz. 11; OLG Schleswig NJW 1992, 579 [580]) oder ähnlichen Erwägungen (Lwowski/Weber, ZIP 1980, 609 [611f.]: es handle sich um eine Zwangsumschuldung und der Gläubiger werde letztlich mit dem "Geld der Bank" befriedigt) von einer Bewertung der Interessenlage her die Zulassung einer solchen Pfändung ablehnen. Die dort vorgetragenen Bedenken sind jedoch unbegründet.

Eine zweimalige Zahlung kann die Bank dadurch vermeiden, dass sie die Pfändung beachtet. Eine "Zwangsumschuldung" ist damit nicht verbunden. Ohne besondere Zweckvereinbarung muss es der Bank gleichgültig sein, an wen sie den Kreditbetrag auszahlt; sie könnte dann auch nichts dagegen einwenden, wenn ihr Kreditnehmer das Geld freiwillig zur Befriedigung dieses bestimmten Gläubigers verwenden würde. Zahlt die Bank den Geldbetrag trotzdem nicht an den Vollstreckungsgläubiger, sondern nach der Weisung des Schuldners aus, dann besteht zwar für diesen eine doppelte Zahlungspflicht. Aber die zusätzliche Belastung wird dadurch ausgeglichen, dass der Vollstreckungsschuldner von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger befreit worden ist.

Es trifft zu, dass das Girokonto des Bankkunden - insbesondere des Kaufmanns - heute zum "Knotenpunkt seiner Zahlungsströme" (Wagner, ZIP 1985, 849 [856]), zur "Drehscheibe des Zahlungsverkehrs" (Häuser, WM 1990, 129) geworden ist. Dementsprechend kann der Schuldner besonders empfindlich getroffen werden, wenn im Wege der Vollstreckung an dieser Stelle zugegriffen wird. Es stimmt auch, dass die Pfändungsmaßnahme sich als allgemeine "Verfügungssperre" (so das Berufungsgericht) auswirken kann, sei es, dass der Schuldner nunmehr von Verfügungen absieht, sei es, dass die Bank die Pfändung zum Anlass nimmt, den Kredit zu kündigen (vgl. Nr. 26 Abs.2 d AGB-Sparkassen; Nr. 19 Abs.3 AGB-Banken). Gelegentlich wird den Kreditinstituten in der Literatur ausdrücklich empfohlen, im Fall einer Kontenpfändung "das Konto zu sperren" (Lwowski, Bankrechtshandbuch, § 33 Rz. 55; Lwowski/Bitter, WuB VI E. § 829 ZPO 2.96 S. 1332). Diese einschneidenden Folgen einer Pfändung in die vereinbarte Kreditlinie rechtfertigen es indessen nicht, die Vollstreckung vor dieser Maßnahme Halt machen zu lassen. Gerade weil das laufende Konto der Kristallisationspunkt der Geldbewegungen des Kontoinhabers ist, muss der vollstreckende Gläubiger darauf zugreifen können. Wenn kaum noch Bargeld "in die Tasche" des Schuldners gelangt, stellt es keine ausreichende (schonendere) Alternative dar, den Gläubiger auf die Möglichkeit der Pfändung des Geldes nach Auszahlung vom - überzogenen - Konto zu verweisen. Da ihm die Herkunft der auf das Konto gelangenden Gelder oft unbekannt ist, hilft es ihm auch wenig, wenn ihm der Zugriff "an der Quelle" (Canaris, Bankvertragsrecht, 4.Aufl., Rz. 190; Häuser, WM 1990, 129) angeraten wird; diese kann zudem durch Sicherungsabtretungen - nicht selten zu Gunsten der Hausbank - bereits verstopft sein (Wagner WM 1998, 1657, 1665). Die staatliche Aufgabe der Zwangsvollstreckung würde unvertretbar eingeschränkt, wenn der Schuldner im Zusammenwirken mit der Bank durch ein debitorisch geführtes Konto die Befriedigung des vollstreckenden Gläubigers vereiteln und das ihm von der Bank zur Verfügung gestellte Geld dort einsetzen könnte, wo er es für sinnvoller hält (so zu Recht Wagner, WM 1998, 1657 [1664]). Der Schuldner kann sich aus der durch die Zwangsvollstreckungsmaßnahme herbeigeführten "Blockade" befreien, indem er den ihm zur Verfügung stehenden Kredit zur Befriedigung des pfändenden Gläubigers einsetzt. Das verstößt nicht gegen Sinn und Zweck der Zwangsvollstreckung. Wer seinen Zahlungsverkehr ausschließlich mit Hilfe von Kredit abwickelt, muss es sich gefallen lassen, die ihm auf diese Weise zur Verfügung stehenden Geldmittel erst dann weiter nutzen zu können, wenn er daraus den pfändenden Gläubiger befriedigt hat.

Die Vollstreckungsmaßnahme muss nicht zwangsläufig eine Blockade des Kontos und damit bei einem Schuldner, der über keine sonstige Liquidität mehr verfügt, die Insolvenz herbeiführen. Die Bank wird das Konto schwerlich unabhängig von der Größe des Pfändungsbetrages sperren. Entscheidend wird immer eine Bonitätsprüfung unter Berücksichtigung vorhandener Sicherheiten sein. Es besteht für die Bank auch die Möglichkeit, ihrem Kunden einen treuhänderisch gebundenen Sanierungskredit zu gewähren, um auf diese Weise den unmittelbaren Zugriff der Gläubiger auf die Geldmittel zu verhindern. Ist der Kunde nach Einschätzung durch die Bank in keiner Weise mehr kreditwürdig, dann kann es freilich zur Zahlungseinstellung und damit zur Insolvenz des Vollstreckungsschuldners kommen. Das ist jedoch keine schlechthin unangemessene Folge der Pfändungsmaßnahme und zwingt nicht zu einer Einschränkung der Einzelzwangsvollstreckung. Je nach Größe der Forderung, derentwegen vollstreckt wird, kann schon darin, dass sie nicht beglichen wird, die Zahlungsunfähigkeit zum Ausdruck kommen. Es erscheint nicht unter allen Umständen wünschenswert, ein sich am Rande der Insolvenz bewegendes Unternehmen allein mit Hilfe eines ständig debitorisch geführten Bankkontos am Leben zu erhalten und auf diese Weise die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu verzögern. (...)

II.

Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Die Beklagte hat bestritten, mit dem Vollstreckungsschuldner vereinbart zu haben, er könne über das Konto trotz fehlender Deckung verfügen. Die bloße Duldung einer Kontoüberziehung gibt nach der Rspr. des Senats dem Kunden gegen die Bank keinen pfändbaren Anspruch auf Kredit (BGH v. 24.1.1985 - IX ZR 65/84, BGHZ 93, 315 [325] = MDR 1985, 576). Damit die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.”

 

 

Der BGH hält dem Argument, dem Schuldner werde entgegen dem höchstpersönlichen Charakter einer Inanspruchnahme des Dispositionskredites dieser Kredit aufgedrängt, also entgegen, dies könne jedenfalls dann nicht gelten, wenn der Kredit tatsächlich abgerufen werde, und zwar nicht zugunsten des Gläubigers, sondern zugunsten Dritter oder zur eigenen Verwendung. Zwar sei der Schuldner nicht verpflichtet, zur Befriedigung des Gläubigers einen Kredit aufzunehmen. Einen tatsächlich aufgenommenen Kredit dürfe er aber auch nicht anderweitig verwenden, da er sonst einen Teil seines Vermögens der Pfändung entziehen könne, so daß nicht mehr, wie dies dem Sinn und Zweck der Zwangsvollstreckung entspricht, sein gesamtes Vermögen der Zwangsvollstreckung unterläge. Ferner hat der BGH nochmals den Unterschied zwischen einem vertraglich eingeräumten Dispositionskredit und einer bloßen Duldung der Kontoüberziehung herausgestellt.

 

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